Ich bin heute bei über 30 Grad Außentemperatur und einer tropischen Luftfeuchtigkeit zu einem Tiershop gefahren - weil es ein innerer Ruf war, dem ich folgen musste.
Als ich mit leichtem Kreislauf über den leeren Parkplatz wackelte, zweifelte ich an meinem eigenen Verstand. Aber nun gut, so ist das nun mal, wenn ich so "dieses Gefühl" habe. Dann muss ich los.
Und so stand ich da in dem nicht klimatisierten Laden und wusste nur subtil, was ich hier wollte.
Ich schlenderte durch die Gänge und landete bei den Aquarien.
Wunderschöne Fische in den buntesten Farben bestaunte ich.
Aber sie waren es nicht, wonach ich suchte.
Mein Miniteich wollte belebt sein. Und neben den Pflanzen, die ihn bereits zierten, wollte etwas Tierisches einziehen.
Ich packte mir einen Verkäufer, der bei mir einen großen Kauf vermutete und mich mit großen aufmunternden Augen ansah, damit ich meine Bitte endlich formulierte.
Und ich tat es.
"Können Sie mir bitte die eine schöne dunkle Posthornschnecke aus dem Becken fischen?".
Das Grinsen des Verkäufers entglitt ihm und es entwich ihm eine Frage: "Warum?".
Es folgte ein nicht eingeplantes Schweigen, weil ich die Frage dusselig fand.
Dann straffte ich meine Schultern und sagte: "Weil ich sie schön finde. Weil ich schon als Kind Schnecken faszinierend fand und sie nun, da ich die Möglichkeit habe, in ein neues Zuhause geben kann, so dass ich mich an sie erfreue."
Ich glaube nicht, dass der Verkäufer mich verstand. Musste er auch nicht. Er fischte mir mein Schneckchen aus dem Becken, packte noch 2 Baby-Schnecken dazu, gab mir die volle Tüte in die Hand und eilte schnell davon.
Glücklich wie ein Weihnachtswichtel im Vollrausch fuhr ich nach Hause und setzte dann alle Schneckchen in den Miniteich.
Die große Schnecke heißt Wilhelmine (ich habe sie einfach mal weiblich gemacht), die Babys sind noch ungetauft. Mein kleines Glück wird immer größer.
Warum erzähle ich nun diese Geschichte?
Wir haben so viele bunte Farben in uns. Wir haben so viele kleine und große Wünsche und Sehnsüchte, die uns zu dem Menschen machen, der wir sind.
Wir haben so viele Gefühle, die wie Noten in unserer Seele zu finden sind. Und wenn wir alle nutzen, ergibt das eine himmlische Melodie, die wie ein Abdruck unseres wahren Ichs ins Universum ausgesandt wird. Und der Klang hallt nach und kommt millionenfach zu uns zurück. Dieser Klang ist einzigartig, wie jeder von uns.
Und doch greifen viele nur auf bestimmte Noten, weil sie diese sicher spielen können oder aber der Meinung sind, dass sie für die Ohren anderer angenehmer sind.
So wird daraus eine eintönige Melodie, die wir selbst irgendwann satt haben und uns so falsch fühlen.
Es braucht ein wenig Mut, zum ersten Mal eine neue Note zu spielen.
Die Resonanzen sind mitunter nicht immer positiv.
Doch der Mut zur eigenen Melodie wird immer wieder belohnt - zunächst mit einem leisen Glück, dann mit einem ganzen Glücksorchester.
Ich hätte meine kindliche Sehnsucht, meinen kindlichen Wunsch, als Blödsinn abtun können. Ich hätte spätestens im Gespräch mit dem Verkäufer einknicken können - er gab mir sicher die Möglichkeit. Aber ich hatte genug Kapazitäten, um diese Spannung aushalten zu können, bei mir zu bleiben und mich durchzusetzen.
Wenn wir zu uns selbst finden wollen, dürfen wir uns zuhören.
Wenn wir authentisch sein wollen, dann dürfen wir alle Sehnsüchte und Wünsche ernst nehmen - auch wenn sie so klein sind wie eine Schnecke.
Wenn wir wachsen wollen, dürfen wir auf alle Gefühle zugreifen und keines ausklammern.
Wenn wir echt sein wollen, dann dürfen wir uns mit allem zeigen, was in uns wohnt.
Egal, was andere denken.
Dann wird unsere Welt für uns gefühlsecht.
Denn dann fühlen wir uns.
Und werden für andere fühlbar.
Und das ist ein Geschenk in dieser oft tauben und aufgesetzten Welt.
Wilhelmine und die Minis sind sehr fleißig in meinem Miniteich und futtern die Algen weg, die sich darin gebildet haben.
Ich bin glücklich, wenn ich sie beobachte.
Ich werde langsamer.
Dann höre ich meine Melodie.
Dann fühle ich mich.
Echt.
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