Ich habe den Begriff Narzissmus nie in meinem engeren Umfeld vorgefunden.
In meiner Ausbildung habe ich natürlich gelernt, wie solche Persönlichkeitsstrukturen entstehen können und welche Merkmale sie aufweisen. Aber um mich herum habe ich sie nie gesehen.
Weil sie mir zu nah waren.
Weil ich so klug war und mich schützen wollte.
Doch das wusste ich nicht.
Es gab eine Phase, da war Narzissmus fast allgegenwärtig. In allen Medien hörte und las man darüber. Und plötzlich war gefühlt jeder 2. ein Narzisst.
Solche Bewegungen sind mir immer suspekt. Ich meine, wir dürfen stets etwas genauer hinschauen, bevor wir kategorisieren. Und wir dürfen uns an Fakten halten und unsere persönliche Bewertung nicht hineinfließen lassen....weil es gerade mal so passt und man einen Übeltäter gefunden zu haben scheint.
Es gibt einen großen Unterschied zwischen einem gut ausgebildeten Selbstbewusstsein und Narzissmus.
Selbstbewusstsein strahlt von innen heraus.
Narzissmus ist toxisch und glänzt oberflächlich.
Narzissmus baut sich eine Scheinfassade auf, die allzu verlockend wirken kann. Und wenn man nicht aufpasst, ist man darin gefangen, wie eine Fliege, die im Honigtopf versinkt.
Schlimm genug, wenn man als Erwachsener auf einen Narzissten trifft.
Doch was passiert, wenn man narzisstische Eltern hat?
Meine Eltern sind Narzissten.
Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Satz je schreiben könnte oder müsste.
Ich habe es nicht gesehen.
Ich wollte es nicht sehen.
Der innere Schutz, den ich errichtet habe, war so groß, dass meine Sicht darauf versperrt blieb. Über viele Jahre.
Ich habe meine Eltern über alles geliebt. Ich wäre für sie durch´s Feuer gegangen - und oft genug habe ich es auch getan.
Ich habe gedacht, dass so Liebe aussieht: dass man alles für einen Menschen tut (in diesem Falle für meine Eltern). So habe ich es gelernt: totale Elterntreue.
Liebe bedeutete für mich, mich aufzugeben - für sie.
Es gab kaum eigene Bedürfnisse. Ich hab sie nicht gespürt. Mein Sein galt ihnen zu dienen, keine Widerworte zu geben, alle Wünsche zu erfüllen, die subtil und manchmal mit großem Druck an mich gerichtet worden sind, immer zur Stelle zu sein, immer lieb und gehorsam meine Pflichten als Tochter zu erfüllen.
Aus der heutigen Sicht erkenne ich, wie manipulativ beide waren.
Sie hatten beide zwei Gesichter. Sie konnten sehr lieb sein, doch die Stimmung konnte sehr schnell umschlagen und ich befand mich inmitten eines emotionalen Gewitters.
Eine auffangende Empathie konnte ich bei beiden nicht finden.
Mein Vater kreiste um seine eigenen emotionalen Belange und Ängste.
Meine Mutter war irgendwann emotional gar nicht verfügbar. Ich weiß nicht, ob sie es überhaupt mal war. Ich erinnere mich nicht.
In der Kindheit erinnere ich mich an eine ständige ambivalente Stimmung.
Ein Kind braucht Sicherheit, um gesund aufwachsen zu können.
Diese bildete sich bei mir nie aus. Erst viel später durfte ich lernen, dass das Leben nicht aus Kampf besteht, dass ich mich auch mal vertrauensvoll zurücklehnen konnte.
Kinder von narzisstischen Eltern lernen nicht viel Gutes über die Liebe, über das Leben, über das Vertrauen zu sich selbst oder anderen.
Diese Kinder sind gefangen in einer toxischen Symbiose mit einem Elternteil (oder beiden) und müssen später sehr hart lernen, dass sie einen eigenen Kreislauf besitzen, eigene Wünsche haben dürfen, andere Wege gehen, sich aufrichten können. Sie müssen sich befreien von der immerwährenden Schuld, die sie in sich tragen, und der Scham.
Und sie müssen lernen, was Liebe wirklich ist, denn sie haben gelernt, dass Liebe an Bedingungen geknüpft ist. Dies aber ist keine wahre Liebe, denn es geht nicht um das Wesen, das da steht. Es geht um Handlungen, die geleistet werden müssen (oder unterlassen werden sollen), damit eine Zuwendung zu spüren ist. Dann ist man der brave Junge oder das brave Mädchen. Die Regieanweisungen der Eltern wurden erfüllt. Was die Herzensebene betrifft - darauf wird nicht geachtet. Sie wird nicht gesehen oder übergangen.
Mir wurde früher bescheinigt, dass ich ein sehr schüchternes Mädchen war.
Aber das war ich gar nicht.
Ich war ein eingeschüchtertes Mädchen.
Das ist ein Unterschied.
Das Kind narzisstischer Eltern zu sein und dies so wahrzunehmen und anzuerkennen, das war eine sehr bittere Pille für mich.
Ich hatte das Gefühl auseinanderzufallen.
Mein Universum, in dem meine Eltern zwei Sterne waren, fiel plötzlich auseinander. Ich bekam diese beiden Bilder - mein kindliches und mein erwachsenes - nicht zusammen.
Es braucht Zeit.
Und obwohl ich Menschen traumatherapeutisch begleite, hatte ich oft einen wütenden Zweifel in mir, der mich fragte, was das alles soll und warum ich nicht einfach weiter in dieser Bubble verbleibe! War doch ok.
Aber das ist die alte, kindliche Stimme, die die Eltern so gern so sehen würde, wie sie sie sich wünscht: liebevoll, lustig, warm.
Es wurde Zeit, um erwachsen zu werden.
Heute sehe ich meine Eltern klar.
Ich liebe sie auch weiterhin, aber anders.
Ich sehe genau, was sie getan haben, wo ich als Kind stand - bis weit ins Erwachsenenalter hinein.
Ich verurteile sie nicht, ich beschuldige sie nicht. Sie haben ihre eigenen Traumata, aus denen sie nicht fliehen konnten.
Aber ich erkenne ihr Tun als schädlich für mich an (nicht alles, aber vieles) und ich würdige den Weg, den ich als kleines Mädchen, und später Frau, gegangen bin, denn so konnte ich überleben.
Wir alle sind so kleine Wunder als Kind: wir passen uns auch den schädlichsten Bedingungen an, um die Liebe und Anerkennung unserer Eltern zu erlangen.
Aber wir sind auch große Wunder, denn wir können als Erwachsene wählen, welchen Weg wir nun weiter gehen wollen.
Auf dem Grabstein meines Vaters, der vor einem Jahr gegangen ist, habe ich schreiben lassen: "Ich bin immer bei Dir."
Das war der berührende Satz, den ich meinem Vater einen Tag vor seinem Tod gesagt hatte, und den er genau so erwiderte.
Dieser Satz ist schön, aber ich würde ihn so nicht nochmals auf den Grabstein schreiben lassen.
Er sagt viel. Erst recht, wenn man meine Geschichte kennt.
Vielleicht wäre dieser Satz heute passender: "In Liebe lasse ich Dich los."
Wir sollten unsere Eltern nicht hassen.
Aber wir dürfen unsere Geschichte verstehen lernen. Damit wir uns liebevoll annehmen können und das Herz für uns und andere in Wahrheit öffnen können.
Erkenne bitte, dass Du all diese Erkenntnisse niemals alleine bewältigen kannst.
Versuchst auch Du auf die Suche nach Dir selbst zu gehen, so nimm die Hand eines erfahrenen Menschen, der Dich sicher auf Deinem Weg begleitet.
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